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(c) KF, Arnold Pöschl

Interview: Zwischen Popkultur und Avantgarde in der Provinz

Herausragende Musik, internationale Tanzperformances und Theater am Puls der Zeit – mit dem neuen Klagenfurt Festival erhielt Kärnten ein kulturelles Leuchtfeuer. Neben internationalen und österreichischen Größen standen auch regionale Acts auf der Bühne und tauchten Klagenfurt in ein modernes Licht – zwischen Pop und Avantgarde.

Laibach, Philipp Hochmaier, Stefanie Reinsperger, Klaus Maria Brandauer, Clara Luzia: die Liste großer Namen im Programm des Klagenfurt Festivals ist lang. Urbanität und ein interdisziplinäres Kulturverständnis sollen sich verstärkt in der städtischen Kulturlandschaft etablieren und diese in den kommenden Jahren um einen wichtigen Fixpunkt bereichern.

Ursprünglich war das Festival bereits für Mai 2020 angesetzt. Dann kam Corona. Insgesamt zweimal war man kurz davor zu eröffnen, zweimal musste man verschieben. Am 31. August 2021 wurde das Klagenfurt Festival nun endlich feierlich aus der Taufe gehoben.

Ich habe drei herausragende Akteure des Festivals zum Interview getroffen. Mit dem Festivalintendanten und Theatermacher Bernd Liepold-Mosser, der charmanten Kärntner Schauspielerin und Neo-Bandleaderin Katarina Hartmann sowie mit Schauspieler Philipp Hochmair, sicher einem der gefragtesten Kapazunder im aktuellen deutschsprachigen Schauspielbetrieb, habe ich über Lichtblicke, Kreativität und die Provinz gesprochen.

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Simon: Danke, dass ihr euch die Zeit nehmt! Zeit hat ja im Verlauf des letzten Jahres seine Bedeutung dahingehend verändert, dass man plötzlich mehr als genug davon hatte. Zumindest – und leider – in der Kulturbranche. Gleichzeitig wurde uns vor Augen geführt, dass Kunst und Kultur keineswegs so selbstverständlich sind, wie viele das vielleicht geglaubt haben. Mit welcher Motivation geht man als Veranstalter aus dieser Zeit heraus?

Bernd Liepold-Mosser: Es war natürlich schon ein harter Dämpfer, als wir das Festival kurz vor der Premiere im Mai letzten Jahres ganz kurzfristig einfrieren mussten. Alle Vorbereitungen waren abgeschlossen, das Programmheft war fertig, wir hatten die Pressekonferenz vorbereitet: wir waren bereit, auf allen Linien durchzustarten. Das ganze Team ist jetzt natürlich heiß darauf, das Festival endlich zu eröffnen.

Simon: Wer bezieht schon eine weltweite Pandemie in der Festivalplanung mit ein.

Bernd Liepold-Mosser: Genau, damit kann man nicht rechnen. Anfangs wusste man ja noch gar nicht, was das bedeutet und wohin das führt. Und vor allem wie lange das dauert. Eines hat mir aber sehr imponiert: Als uns die Pandemie dann drei Tage später zur Verschiebung zwang, waren einzelne Programmpunkte fast zur Hälfte verkauft, ohne überhaupt Werbung gemacht zu haben. Wirklich erstaunlich ist dabei, dass beinahe niemand die Karten zurückgegeben hat. Das war ein großes Zeichen von Solidarität mit der Kulturszene und hat mich auch in meinen Entscheidungen als Festivalkurator bestätigt. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, scheint der Richtige zu sein.

„Jetzt mache ich etwas, das mich total erfüllt.“

Simon: Schauspieler*innen und Musike*innen hatten es besonders hart im letzten Jahr. Hat sich für euch in dieser Zeit etwas verändert?

Katarina Hartmann: Für mich hat sich total viel verändert. Ich hatte endlich wieder Zeit für mich selbst. Ich viel geschrieben und komponiert. Und irgendwann habe ich beschlossen, eine Band zu gründen, ein Album aufzunehmen und ein neues Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen. Das fühlt sich richtig gut an. Das Corona-Jahr war sozusagen mein Jahr.

Philipp Hochmair: Auch für mich fühlt es sich anders an, nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu stehen. Ein Neustart, ein Reset. Aber ich habe das Gefühl dieser Reflexionsprozess, hat eine sehr positive Auswirkung. Die ersten Auftritte in diesem Jahr waren ein großer Schritt nach vorne!

Simon: Kann man Kreativität verlernen?

Philipp Hochmair: Ich glaub nicht. Es hat sich jetzt – über die Zwangspause – noch einmal verdichtet. Es ist auf eine gute Art ernsthafter geworden. Davor habe ich aus einem totalen Überfluss geschöpft. Jetzt ist alles bewusster und auf eine neue Art festlich und besonders live auftreten zu dürfen.

Katarina Hartmann: Ich sehe das ähnlich. Der Lockdown hat meine Kreativität sozusagen beflügelt. Davor habe ich zwischen dem einen Engagement und dem nächsten nur mehr funktioniert. Jetzt mache ich etwas, was mich total erfüllt. Das soll nicht bedeuten, dass mich die Schauspielerei langweilt, aber künstlerisch interessiert mich zur Zeit mehr die Musik.

„Wie viel Provinz trägt man in sich?“

Simon: Sprechen wir über das Festivalprogramm. Dort stehen Stephanie Reinsperger und das Berliner Ensemble, Klaus Maria Brandauer oder die Band Laibach neben Voodoo Jürgens und Stermann & Grissemann. Daneben gibt es Tanzperformances und zeitgenössisches Theater. Der Bogen spannt sich gewaltig. Was ist die Idee dahinter?

Bernd Liepold-Mosser: Ich wollte mich nicht auf eine Sparte begrenzen. Es gibt zwar einen gewissen popkulturellen Grundstrom, die Idee war aber kein reines Musikfestival zu machen, sondern auch die darstellenden Künste mit rein zu nehmen, das Interdisziplinäre. Wie viel Avantgarde geht? Wie weit kann man sich rauslehnen, wie speziell darf es sein? Oder ist es am Anfang vielleicht notwendig, eine gewisse Breite zu finden, um das Festival überhaupt einmal an die Leute zu bringen? Die Provinz spielt da eine wichtige Rolle, gerade in Klagenfurt. Provinz ist ja kein ausschließlich geographischer Begriff, sondern eigentlich eine geistige Frage: wie viel Provinz trägt man in sich? Und wie viel schüttelt man ab?

Simon: Was der Bauer nicht kennt…

Bernd Liepold-Mosser: Es nützt ja auch nichts, ein super avantgardistisches Programm zu haben, und dann sitzen dort 20 Leute im Publikum. So ist es eben eine Mischung geworden, mit bekannteren Namen, die auf spezielle Programmpunkte ausstrahlen. Ich glaube das Wichtigste, das wir in der Kultur machen können, ist es, neue Formen zu eröffnen, die Welt zu sehen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und wahrzunehmen.

„Man darf auf der Bühne seine Welt immer wieder anzünden.“

Simon: Das Festival hat sich Begriffe wie Urbanität und Innovation auf die Fahnen geschrieben. Wie werden diese Begriffe verhandelt?

Bernd Liepold-Mosser: Was ist Urbanität? Urbanität durchbricht die engen Vorstellungen davon, wie Leben und Normalität sein sollen. Diese Vorstellungen aufzubrechen und zu zeigen, dass es eine Vielfalt an Lebensmöglichkeiten gibt, das ist unser Ziel. Die zeitgenössische Kultur kann zu diesem Prozess beitragen. Man soll dadurch eine gewisse Art von Freiheit erleben können. In diesem Sinne bietet das Klagenfurt Festival ein sehr innovatives und urbanes Programm.

Simon: Philipp, beim Klagenfurt Festival trittst du gemeinsam mit deiner Band “Die Elektrohand Gottes” auf und inszenierst “Schiller als Rave”. Nach „Werther!“ und „Jedermann Reloaded“ lässt du wiederum hochkarätige Literatur in zeitgenössischer Musik aufgehen. Wäre Schiller in seiner Sturm und Drang Zeit Raver gewesen?

Philipp Hochmair: Ja, man kann sagen: Schiller war der Raver des Sturm und Drang. In seiner Dichtung finden wir irre rhythmische Sätze, mit erstaunlichen Wiederholungen. Zum Beispiel im „Taucher“ gibt es sogar eine komplette Strophe, die sich wiederholt. Diese Rhythmik in der Sprache, die verbindet sich perfekt mit den Beats und mit einer neuen Art, diese Verse zu verkünden. Der crossover von Electromusik und Schiller Balladen funktioniert! Die hassgeliebte „Glocke“ wird zur ElektroGlockeGottes. 

Simon: Du arbeitest auf der Bühne sehr körperlich, mit einer Wucht, die nur wenige in dieser Art abrufen können. Was reizt dich dabei, an die Grenzen zu gehen – und darüber hinaus?

Philipp Hochmair: Vor allem die Sehnsucht nach Verwandlung und die Flucht vor der normalen Alltagslogik, der Angst und dem sicherlich notwendigen Sicherheitsdenken. Man darf auf der Bühne seine Welt immer wieder anzünden und sich dadurch eine neue Realität erschaffen.  Für mich ist die Bühne ein Mindset zur totalen Befreiung.

Simon: Welchen Stellenwert hat die Provokation, die Überforderung für die Entwicklung eines Individuums oder einer Stadt?

Philipp Hochmair: Einen sehr hohen, finde ich. Nur durch Überforderung kann man sich auch verändern. Sicher ist schön, wenn Orte so bleiben, wie sie sind. Aber das Denken immer wieder frisch zu halten und zu reizen ist unser Ziel. Das habe ich zB bei der spontanen Jedermann-Übernahme in Salzburg 2018 gemerkt. So ein Schock ist wohltuend. Das ist auch beispielgebend für das, was ich persönlich suche. Zu sagen: ich mache das jetzt völlig anders, als ich es geplant habe.

„Je mehr Zeit ich in Kärnten verbringe, desto mehr träume ich auf Slowenisch.“

Simon: Katarina, ich denke du kannst diese Ansicht teilen. Die Zwangspause war für dich der Startschuss für die Gründung deiner Band „Jasa“. Das slowenische Wort für „Lichtung“ nimmt schon einiges vorweg: deine slowenischen Wurzeln, einen Lichtblick in Krisenzeiten und die Öffnung hin zu etwas Neuem. Wie ist dieses Neue entstanden?

Katarina Hartmann: Ich habe erst vor ungefähr drei Jahren begonnen, regelmäßig und konsequent Texte zu schreiben. Die blieben dann oft Monate lang liegen. Im letzten Jahr hatte ich die Zeit, sie zu überarbeiten und auch neue Texte und Melodien hinzu zu fügen. Und plötzlich war ein ganzen Stapel Lieder fertig. Genug für ein Album. Aber keinen Plan, wie oder mit wem ich die alle aufnehmen sollte. Manfred Plessl war mir dabei eine enorm große Hilfe. Im Nullkommanix stellte er eine Band auf die Beine. Vor allem seine Erfahrung im Studio war Gold wert. Er hat uns alle sehr zielstrebig durch die Aufnahmesessions gelotst.

Simon: Am Klagenfurt Festival werdet ihr als Band vorstellen. Eine erste Single aus den Studioaufnahmen trägt den verheißungsvollen Namen „Ich möchte alles mit dir machen“, der perfekte Feelgood-Soundtrack für den Sommer. Wo würdest du euren musikalischen Stil einordnen?

Katarina Hartmann: Bei diesem Studioalbum ist für jeden Musikgeschmack etwas dabei. Wir sind noch in der Findungsphase und haben uns noch auf keinen konkreten Stil festgelegt. Das meiste lässt sich aber am ehesten unter Deutsch-Pop zusammenfassen. Allerdings sind nicht alle Songs auf dem Album so fröhlich wie „Ich möchte alles mit dir machen“. Es gibt viele melancholische Momente und dann wieder solche, die einen starken Optimismus versprühen. Insgesamt ist es eine recht gute Mischung geworden, finde ich.

Simon: Du singst großteils auf Deutsch aber auch auf Slowenisch. In welcher Sprache träumst du?

Katarina Hartmann: Spannende Frage. Eigentlich auf Deutsch. Vor allem, weil für mich als Schauspielerin sehr intensiv mit der deutschen Sprache auseinander setze. Das macht schon etwas mit einem. Aber es wechselt relativ oft. Je mehr Zeit ich bei meiner Familie in Kärnten verbringe, desto mehr träume ich auch wieder auf Slowenisch. Und ich finde das auch schön so.

Simon: Du bist stark mit Kärnten verwurzelt. Was bedeutet Klagenfurt für dich?

Katarina Hartmann: Vor allem habe ich wunderbare Erinnerungen an meine Kindheit am Kreuzbergl und viele meiner Freunde leben nach wie vor hier. Zwischenzeitlich war ich im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs und habe lange in Wien gelebt. Jetzt ist mein Lebensmittelpunkt wieder hier in Kärnten. Wenn ich mit dem Rad um den See fahre oder am Kreuzbergl spazieren gehe, dann sorgt das regelmäßig für Inspiration.

Simon: Philipp, du bist ja auch am ganzen Kontinent unterwegs. In welcher Beziehung stehst du mit Klagenfurt?

Philipp Hochmair: Ich hatte hier bisher leider nur wenige Auftritte in Klagenfurt. Aber es hat mir immer sehr gut gefallen. Das Publikum ist großartig! In anderen Städten ist es oft so, dass man die Leute erst mühsam für sich gewinnen muss. Das war in Klagenfurt gar nicht der Fall. Die Leute hier waren da sehr entflammbar. 

Simon: Mitte September wird der See noch angenehm temperiert sein. Wirst du Zeit haben, in seine Trinkwasserqualität hineinzuköpfeln?

Philipp Hochmair: Ich habe zwar einen recht engen Terminkalender und werde nur einen Tag in Klagenfurt sein. Aber das lass ich mir natürlich nicht nehmen. 

„Ich würde gerne ein bisschen was hinzufügen.“

Simon: Abschließend noch ein Blick in die Zukunft: Man darf sich vom ersten Klagenfurt Festival viel erwarten. Wie schaut es für die Zukunft aus, wo geht die Reise hin?

Bernd Liepold-Mosser: Das Festival ist derzeit auf drei Jahre gesichert. In dieser Zeit möchte ich eine Aufbauarbeit leisten und es zu einem Fixpunkt in Kärnten machen, der auch über die Grenzen hinaus ausstrahlt. Vor allem auch in Richtung Süden. Slowenien hat eine äußerst lebendige Kulturszene, da sollten wir anknüpfen. 

Simon: Also nicht die Welt verändern. Aber irgendwie doch ein bisschen?

Bernd Liepold-Mosser: Ich würde gerne ein bisschen was hinzufügen. Wenn man Neues sieht und erlebt und vor allem auch zulässt, dann fängt das Ganze irgendwann auch an, von selbst zu arbeiten.

Simon: Auf welchen Act freust du dich persönlich ganz besonders? 

Bernd Liepold-Mosser: Ha, gute Frage! Am meisten freut mich, dass es gelungen ist, die Band Laibach nach Klagenfurt zu holen. Das ist sicherlich die spannendste, zeitgenössische Band im Schnittfeld zwischen Pop und Politik. Als Theatermacher reizt mich persönlich auch das Gastspiel des Berliner Ensembles mit Stefanie Reinsperger. In dieser Inszenierung der „Selbstbezichtigung“ kommen so drei ganz besondere Elemente zusammen: Reinsperger als Star, Dušan Pařízek, als wohl einer der wichtigsten Regisseure meiner Generation und natürlich das Stück von Peter Handke, dem Kärntner Autor von Weltrang.

Das Klagenfurt Festival gehört ohne Zweifel zu den Highlights des Kärntner Festivalsommers! Die Landeshauptstadt erhält damit eine breit aufgestellte und doch in die Tiefe reichende Kulturveranstaltung. Politische Entscheidungsträger und Tourismus sind sich ebenfalls einig: eine derartige Veranstaltungsreihe à la Steirischer Herbst wird über die Landesgrenzen hinweg ausstrahlen. Das tut nicht nur Klagenfurt gut, sondern vor allem einem kulturhungrigen Publikum in Kärnten und all seinen Nachbarregionen. Das Programm gibt es hier.

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Bernd Liepold-Mosser


Geboren 1968 in Griffen, ist Autor und Regisseur, ausgezeichnet unter anderem mit dem Nestroy-Preis 2012 und dem Publikumspreis der „diagonale“ 2013. Studium der Philosophie in Wien, Klagenfurt und Ljubljana (u.a. bei Slavoj Žižek). Von 1996-2000 Gründer und Leiter des Peter Handke-Archivs. Seit 2019 Intendant des Klagenfurt Festivals.

Katarina Hartmann

Geboren 1984 in Klagenfurt. Ausgebildete Schauspielerin und Sängerin mit Engagements u.a. am Volkstheater Wien, Stadttheater Klagenfurt oder beim Theatersommer Klagenfurt. Seit 2021 steht sie mit „Jasa“ regelmäßig neben Kurt Seppele (Gitarre), Fabian Mang (Piano), Stefan Delorenzo (Bass) und Rudi Pravda (Drums) auf der Bühne. Bei großen Konzerten wird die Band zusätzlich von Manfred Plessl (Strings) und Jana Thomaschütz (Cello) unterstützt.

Philipp Hochmair

Jahrgang 1973, aufgewachsen in Wien. Studierte Schauspiel am Max Reinhardt Seminar und am Conservatoire national supérieur d’art dramatique in Paris. Einem großen Publikum ist er für seine Rollen in „Vorstadtweiber“, der Netflix-Serie „Freud“ oder „Blind ermittelt“ bekannt. 2018 sprang er bei den Salzburger Festspielen kurzfristig für den erkrankten Tobias Moretti in der Titelrolle des „Jedermann“ ein. Hochmair gehört aktuell zu den gefragtesten Schauspielern im deutschsprachigen Raum.

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