Print Friendly, PDF & Email
Print Friendly, PDF & Email
(c) Dieter Resei

Literaturstadt Klagenfurt: auf den Spuren von Robert Musil

Klagenfurt und die deutschsprachige Literatur haben ein besonders enges Verhältnis zueinander. Es wird hier am Wörthersee alljährlich nicht nur einer der wichtigsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum verliehen - der Bachmannpreis. Nein, Kärnten hat zahlreiche Literatinnen und Literaten hervorgebracht oder inspiriert, von denen einige sogar Einzug in die Weltliteratur gehalten haben.

Gemeinsam mit Dr. Heimo Strempfl, dem Leiter des Robert-Musil-Literatur-Museums, begeben wir uns in dieser Serie auf die Spuren der großen literarischen Töchter und Söhne des Landes und deren Beziehung zur Landeshauptstadt Klagenfurt.

Am Beginn steht dabei Robert Musil selbst, dessen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ zum Inbegriff der modernen Literatur schlechthin wurde und der weit über den deutschen Sprachraum hinaus bekannt ist und rezitiert wird.

Ein gebürtiger Klagenfurter

„Ich bin am … geboren, was nicht jeder von sich behaupten kann. Auch der Ort war ungewöhnlich: Kl. in K.; verhältnismäßig wenig Menschen kommen dort zur Welt. In gewissem Sinn deutet sich in beidem schon meine Zukunft an.“

Robert Musil: Tagebücher, Rowohlt

Als Robert Musil am 6. November 1880 in der Klagenfurter Bahnhofstraße das Licht der Welt erblickte, war ihm seine spätere Bedeutung als einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts keineswegs vorherbestimmt. 

Als Sohn eines Ingenieurs und späteren Hochschulprofessors war für ihn wohl eher eine technische Karriere oder eine in der Armee vorgesehen, jedoch nicht in Klagenfurt. Denn bereits Musils frühen Jahre waren geprägt von vielen Ortswechseln. Von Klagenfurt nach Böhmen, dann nach Steyr, Brünn/Brno und Wien. Das sollte sich bis in seine späten Jahre fortsetzen.

Während seiner Zeit an Militärrealschulen, die er bald zugunsten eines Maschinenbaustudiums abbrechen sollte, machte er jene prägenden Erfahrungen, die er später in seinem autobiographisch gefärbten Debütroman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ literarisch verarbeitete.

Darin beschreibt Musil die Pubertät von fünf Internatsschülern, die geprägt ist von autoritären Zwängen, Gewalt und intensiver Selbstfindung. Als der Roman 1906 erschien, waren konfliktträchtige Tragödien jugendlicher Helden äußerst in Mode und so wurde der „Törleß“ zu einem überragenden Erfolg und der Autor über Nacht berühmt.

Doch daran konnte der Schriftsteller mit seinen nachfolgenden Publikationen nicht anknüpfen. Er veröffentlichte mehrere Erzählungen und Novellen, die allesamt hinter den Erwartungen – auch seinen eigenen – zurückblieben. In dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau Martha Marcovaldi kennen, die ihm bis an sein Lebensende zur Seite stehen sollte.

Vom Rand der Bedeutungslosigkeit zum Weltliteraten

Nach Anstellungen als Bibliothekar und Redakteur in Wien trat Robert Musil zu Beginn des Ersten Weltkriegs voller Kriegseuphorie wieder der Armee bei und war in den Dolomiten und an der Isonzofront stationiert, bevor er in Bozen die Redaktion der Tiroler Soldaten-Zeitung übernahm. 

Auf das Kriegsende folgte Ernüchterung und Musil stand vor den Trümmern seiner Existenz. Als Autor fand er zu dieser Zeit wenig Beachtung. Seit seinem Erstlingsroman sind über zwölf Jahre vergangen, fast ebenso lange wird er für seinen zweiten benötigen. In diesen Jahren verdingte sich Musil als Theaterkritiker und vollendete mit „Die Schwärmer“ ein eigenes, vor Jahren konzipiertes Theaterstück, das von mäßigem Erfolg gekrönt war.

Erst im Laufe der 1920er Jahre fand sein literarisches Schaffen wieder vermehrt Anklang. In dieser Zeit begann Robert Musil an seinem Monumentalwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ zu arbeiten, dessen hochgelobter erster Band 1930 erschien. 

Darin beschreibt er auf vielen Ebenen die in den letzten Zügen liegende K. u. K. Monarchie, für die Musil den Begriff „Kakanien“ ersann. Wie alle seine Werke ist auch „Der Mann ohne Eigenschaften“ stark autobiographisch geprägt und beschreibt mit formaler Raffinesse und Ironie die Gesellschaft rund um die Hauptfigur Ulrich, dem jede Richtung im Leben abhanden gekommen zu sein scheint.

Musil versuchte nichts weniger, als ein vollumfängliches Bewusstseinspanorama jener Zeit zu schaffen. Das Opus Magnum aber blieb nach Veröffentlichung eines zweiten Bandes letztlich unvollendet und Musil als Autor sank zunehmend in die Bedeutungslosigkeit ab, bevor er 1942 verarmt im freiwilligen Exil in Genf verstarb.

Erst in den 1950er Jahren wurde dem Roman wieder erhöhte Aufmerksamkeit zu Teil und die Literaturwissenschaft erkannte die im wahrsten Sinne unbeschreibliche Tiefe in die Musil mit seinem Roman vorzudringen versuchte. „Der Mann ohne Eigenschaften“ gilt heute als eines der bedeutendsten Werke der Moderne und gehört, wie Robert Musil selbst, zum Kanon der Weltliteratur.

Was von Robert Musil blieb

Musils bewegte Biographie lässt es schon erahnen: Lange blieb er nicht in Klagenfurt. Gerade einmal elf Monate lebte der spätere Weltautor als Säugling in der Stadt am Wörthersee. Auch auf seinen späteren Reisen verschlug es ihn nie mehr hierher, das verraten seine Tagebücher, die 1983 von Adolf Frisé im Rowohlt Verlag herausgegeben wurden.

Was also bleibt von Robert Musil, in der Stadt seiner Geburt, die er niemals wirklich erlebt hat? In seinem literarischen Werk jedenfalls finden sich kaum Bezüge oder Referenzen, die Klagenfurt assoziieren ließen. Bleibt also nur der Blick auf die Stadt selbst.

Da gibt es zum Beispiel die Robert-Musil-Straße, von der abzweigend die Grillparzerstraße, wie eine Allegorie auf Musils unvollendetes Mammutwerk, in eine Sackgasse mündet. Besagter Straßenzug befindet sich abseits des Stadtzentrums, auf halbem Weg zum Flughafen und verläuft parallel zur Durchlaßstraße, in der Ingeborg Bachmann geboren wurde und ihre ersten sieben Lebensjahre verbrachte.

Die bedeutendste Reminiszenz auf Robert Musil ist aber sein Geburtshaus in der Bahnhofstraße Nummer 50. Das äußerlich größtenteils unveränderte Gründerzeithaus eröffnet zu linker Hand vom Hauptbahnhof her kommend die Bahnhofstraße, und ist heute ob seiner kunstvoll gestalteten Südfassade ein Blickfang, dem sich nicht nur ankommende Zugreisende schwerlich verwehren können.

Das Musil-Haus

1867 erbaut ist das Haus heute ein Zentrum der Literatur und einer der wichtigsten Erinnerungsorte an den namensgebenden Schriftsteller, der hier vor gut 140 Jahren zur Welt gekommen ist. 

Das Parterre des Hauses beheimatet seit 1997 mit dem Robert-Musil-Literatur-Museum das einzige Ausstellungshaus weltweit, das sich umfassend dem Wirken Robert Musils widmet. 

Die Dauerausstellung „Ins Ungewisse hinsteuern“ beinhaltet Teile aus dem persönlichen Nachlass, darunter die erhalten gebliebenen Reisekoffer des Ehepaars Musil. Die Originalobjekte, Dokumente, Fotos und natürlich Erstausgaben seiner beiden Romane werden in einen abstrakten Kontext gestellt und so versucht, die Stationen aus Musils Lebensreise nachzuzeichnen.

Zwei weitere Ausstellungen sind den beiden Kärntner Autorinnen Ingeborg Bachmann und Christine Lavant gewidmet.

Im ersten Stock des Musil-Hauses befindet sich das Robert-Musil-Institut für Literaturforschung, das als Außenstelle der Universität Klagenfurt die Literatur- und Kulturgeschichte Kärntens im Kontext des Alpen-Adria-Raums erforscht. Im angeschlossenen Kärntner Literaturarchiv werden darüber hinaus Nachlässe und Artefakte Kärntner Autorinnen und Autoren archiviert und im Rahmen der Literaturforschung systematisch aufgearbeitet. Weiters sind die IG Autorinnen Autoren Kärnten sowie die Grazer AutorInnen Versammlung in diesem Hause angesiedelt.

Das Musil-Haus ist dadurch zu einem lebendigen Ort der literarischen Begegnung geworden, in dem Werk und Leben Robert Musils, neben jenen anderer wichtiger Autorinnen und Autoren mit Bezug zu Kärnten, allgegenwärtig sind. In der – ebenfalls einzigartigen – Literaturlounge des Museums trifft man sich regelmäßig zum literarischen Austausch und die frei zugängliche Bücherwand macht Lust auf neue poetische Abenteuer. 

Dieser moderne Umgang mit Literatur und seinen Akteuren ist auch visuell von außen unübersehbar: nirgends sonst sind Autorinnen und Autoren in dieser Größe auf das Portal des Museumseingangs gesprayt worden, noch dazu von Jef Aérosol, einem Star der Internationalen Street-Art-Szene, der das Haus damit zu einer unübersehbaren Landmarke in Klagenfurt gemacht hat.

Das Musil-Haus im künstlerischen Alltag

Als der französische Regisseur und Schauspieler Mathieu Amalric (u.a. „Ein Quantum Trost“) im Herbst 2022 seinen neuen Film „Zorn III“ auf der VIENNALE in Wien präsentierte, nutzte er seinen Österreich-Aufenthalt für eine Reise nach Klagenfurt. 

Seit vielen Jahren beschäftigt sich Amalric mit der wunderbaren Literaturwelt Robert Musils und er ließ es sich nicht nehmen, nach Klagenfurt zu kommen, um sich hier mit Walter Fanta, dem Herausgeber der Werkausgabe, zu treffen und sich mit ihm über den „Mann ohne Eigenschaften“ auszutauschen. 

Spätestens nach diesem Besuch, bei dem er auch den Bruder von Ingeborg Bachmann, Dr. Heinz Bachmann getroffen hat, stellt Klagenfurt durch Robert Musil nun einen Fixpunkt auf der „kulturellen Landkarte“ dieses international tätigen Filmstars dar.

Wenn auch nicht im grellen Rampenlicht, steht das Musil-Museum während der Klagenfurter Tage der deutschsprachigen Literatur doch auch im Blickfeld der internationalen Literaturöffentlichkeit. Denn hier findet jährlich im Vorfeld des Bachmann Preises der Klagenfurter Literaturkurs statt, bei dem junge Autorinnen und Autoren eine Woche lange von renommierten Tutoren aus dem Literaturbetrieb begleitet, die ihre Texte kritisch betrachten und Anregungen zum kreativen Schreibprozess und die poetische Ausgestaltung geben.

Neben diesem Sondertermin finden im Musil-Haus regelmäßig diverse Literaturveranstaltungen statt, oft mit Musikbegleitung, manchmal spielerisch, aber immerzu zeitgemäß und vielseitig. 

Ein Fixpunkt für Literatur in Klagenfurt

Das Vermächtnis Robert Musil in Klagenfurt, ist also weit mehr als der Tagebucheintrag „Kl. In K.“ oder ein Straßenname in der vorstädtischen Wohnsiedlung. Im Namen Robert Musils hat sich eines der wichtigsten Literaturzentren Kärntens entwickelt, das sich sowohl der Archivierung und musealen Befassung als auch der erfrischend zeitgemäßen Auseinandersetzung mit Literatur und ihren Akteurinnen und Akteuren widmet. Das macht das Musil-Haus zum Fixpunkt für alle Literaturfans in Klagenfurt!

Das könnte Sie auch interessieren